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So bitter sie auch ist, diese Pille muss ich schlucken

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Vor knapp einer Woche habe ich mir endlich mal Zeit genommen, meinen Arzneimittelschrank auszuräumen. Was gibt es schließlich schöneres an einem Samstagabend, als abgelaufene Medikamente und vorsintflutliche unvegane Medikamente aus Vegetarierzeiten aus dem Sortiment zu entfernen? Eben! Dass sich das allerdings schon wieder zu so einer Odyssee entwickelt, hätte ich zu dem Zeitpunkt nicht gedacht.

Mit 14 Jahren wurde bei mir eine Schilddrüsenunterfunktion diagnostiziert, dazu kommt erblich bedingter Bluthochdruck. Seitdem nehme ich täglich zwei Medikamente: Enalapril und L-Thyroxin. Enalapril ist ein ACE-Hemmer zur Regulierung des Blutdrucks, L-Thyroxin ein synthetisch hergestelltes Schilddrüsenhormon. Dass es synthetisch ist, ist schon mal ein großes Glück. Wenn ich da an Östrogene in der schwangerschaftsverhütenden Pille denke, die aus dem Urin von Pferden gewonnen werden (übrigens: wenn ich mich richtig erinnere, gibt es nur 2 vegane Verhütungsmethoden. Und dazu zählt auch nur eine einzige Kondommarke!), wird mir schlecht. (Die Diskussion, ob ein unveganes Kondom zum Schutz vor STI ethisch vertretbar ist, möchte ich an dieser Stelle übrigens nicht führen, vielleicht machen wir das später noch mal ;) )
Beim Ausmisten der Medikamente ist mir aufgefallen, dass im Enalapril als Nebenstoff Laktose enthalten ist. Warum weiß ich nicht, Chemie habe ich nach der 10., Biologie nach der 11. Klasse jeweils mit einer 5 abgewählt. Dennoch erscheint mir die in der Pille grundsätzlich erst mal sinnlos. Vielleicht dient es ja der besseren Aufnahme des Stoffes, wer weiß. Somit ist jedoch die Einnahme des Medikaments für mich nicht mehr vertretbar. Gewissenskonflikt Nummer 1.
Als nächstes schaute ich auf die Inhaltsstoffe der L-Thyroxin-Tabletten dran: Sie enthalten Magnesiumdistearat. Eine kurze Recherche zeigt mir, dass Magnesiumdistearat aus pflanzlichen und tierischen Fetten gewonnen wird. Auch die L-Thyroxin-Einnahme kann ich nun nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren. Gewissenskonflikt Nummer 2.

Als erste Konsequenz habe ich die Pillen sofort abgesetzt und beschlossen, zeitnah meine Hausärztin aufzusuchen. Denn bei solch einer Krankheit die Pillen einfach so und ohne ärztliche Rücksprache abzusetzen, ist nicht nur dumm, sondern auch riskant.
Nachdem ich ihr mein Problem geschildert habe, hat sie mich erneut untersucht. Daraufhin entschied sie sich, dass ich das blutdrucksenkende Medikament Enalapril nicht mehr zu nehmen brauche. Gewissenskonflikt Nummer 1 war also gelöst. Sehr gut.
Den zweiten Gewissenskonflikt konnten wir leider nicht so schnell zu lösen, denn da die Dosis der L-Thyroxin bei mir sehr hoch ist, besteht auf medizinischer Sicht die Notwendigkeit, dass ich den Wirkstoff weiter zu mir nehme. Die Ärztin schrieb mir jedoch ein vegan hergestelltes Präparat in Tropfenform auf, welches kein Magnesiumdistearat enthält – leider werden die Tropfen von Sanofi-Aventis hergestellt.

Sanofi Aventis ist kein Generikahersteller, sondern ein Pharmakonzern, der Tierversuche durchführt. Der Gewissenskonflikt Nummer 2 bleibt also weiter bestehen und wird zu einem größeren, als ich bisher dachte;
Entweder nehme ich Tabletten, die ein aus tierischen Fetten hergestellten Hilfsstoff beinhalten, aber von einem Generikahersteller sind, oder ich nehme ein von der Zusammensetzung veganes Präparat, das von einem Hersteller kommt, der Tierversuche durchführt. Die Alternative, auf die Medikamente zu verzichten, mir einen Kropf wachsen und die Schilddrüse entfernen zu lassen und danach neue Medikamente zu nehmen, erschien mir auch aus tierrechtlerischer Sicht als weniger sinnvoll; Wer weiß, welche Tupfer die während der OP verwenden, woraus das Anästhetikum besteht und überhaupt.
(Kurzer Exkurs: Generikahersteller stellen Präparate her, bei denen die Patentlaufzeit von 15 Jahren abgelaufen ist. Durch das bloße Konzentrieren auf die Produktion der Medikamente, verkaufen Generikaunternehmen die Präparate günstiger und entlasten damit auch noch die Krankenkassen. Natürlich handelt es sich dabei um Medikamente, die schon zugelassen wurden; Generikahrsteller betreiben in der Regel keine Forschung und führen deshalb auch keine Tierversuche durch.)

Die Frage konnte und wollte ich nicht alleine beantworten, also habe ich mir Hilfe bei app.net gesucht.

@musslautsein
musslautsein Ist hier ein Pharmazeut und oder Philosoph anwesend? Stecke in einer Zwickmühle: Generika-Preparat mit aus Tierprodukt gewonnenem Nebenstoff, oder Präparat von Pharmaunternehmen (mit Tierversuchen), aber ohne tierische Nebenstoffe? Bitte reposten!

Die Diskussion gewann wie gewohnt schnell an Fahrt und wie es im Leben nun mal so ist, waren die Meinungen dazu am Ende natürlich unterschiedlich.

@musslautsein
musslautsein Wenn ich euch richtig verstanden habe, würde @lukasepple das TV-Präparat nehmen, @piratenpanda das TV-freie. @dasdom TV, @kultprok eher TV, @kroegodil TV-frei. Ich danke euch für eure Denkanstöße und werde euch an meiner Entscheidung teilhaben lassen!

Um eine Entscheidung treffen zu können, wollte ich, so hart es klingt, die jeweiligen Opfer gegeneinander aufrechnen: durchgeführte Tierversuche pro Jahr mal meine weitere Lebenserwartung in Jahren gegen die Anzahl der ermordeten Tiere, die für die Herstellung der Pillen ausgebeutet werden, die ich mein weiteres Leben nehmen muss.
Da war schnell klar; hier komme ich nicht weiter. Jedes dieser Opfer ist ein Opfer zu viel und so oder so kann und darf ich keine Toten gegeneinander aufrechnen, denn jedes Lebewesen hat eine Existenzberichtigung und sollte nicht von einem anderen Lebewesen zu einem frühzeitigen Tod verurteilt werden. Auf der Grundlage kann ich keine Entscheidung treffen. Also müssen andere Faktoren her.
Wie sieht’s denn zum Beispiel mit der sozialen Verantwortung aus? Ein heutiger Teil des Pharmaunternehmens mit den Tierversuchen hat vor der Fusion mit Sanofi Aventis mit einigen anderen Pharmakonzernen Südafrika mehrere Jahre aus Patentgründen davon abgehalten, AIDS-Kranke mit günstigen Generika-Medikamenten zu versorgen. Unsozialer geht’s eigentlich gar nicht. Profitgierig auf Kosten von Kranken. Klar, da steht jahrzehntelange Tierversuchs-Forschung hinter, die sich finanziell „auszahlen“ muss, bei tödlichen Krankheiten auf Patente zu beharren empfinde ich das dennoch als eine absolute Frechheit und boykottierungswürdig. Das fanden zum Glück auch andere, weshalb die Klage wieder zurückgenommen wurde. Doch das Image bleibt beschädigt. Also wieder eine Sackgasse.

Nachdem mir klar wurde, dass ich mich einfach nicht richtig entscheiden kann, wenn ich mich für meine Gesundheit entscheide, habe ich beschlossen, einfach noch ein oder zwei Nächste drüber zu schlafen und meinen Bauch entscheiden zu lassen. Aus den zwei Nächten wurden letztlich drei, aber ich bin zu einem Schluss gekommen:

So schlimm ich beide Möglichkeiten finde, habe ich mich für die laut Inhaltsstoff vegane Variante vom Pharmakonzern entschieden. Der Grund ist ganz einfach: Ich möchte keine Leichen auf dem Gewissen und in meinem Magen haben. Und mit der Entscheidung habe ich sie „nur“ auf dem Gewissen.

Eine gute Idee zum Handeln und nicht nur zum Denken kam in der Diskussion dann auch noch auf:

Ich werde gleich mal eine Email an diverse Generika-Hersteller aufsetzen. Ganz naiv gedacht, kann ich ja vielleicht wirklich was bewirken.

Vielen Dank an alle, die mir bei der Entscheidungsfindung direkt oder indirekt geholfen haben!


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